Meine Glossen - Stille - ein alter Wunschtraum

Stille-ein alter Wunschtraum


Vielleicht eine Ursehnsucht - der Mangel daran, eine Zivilisationskrankheit.
Der Wunsch nach Ruhe ist uns nicht immer bewußt. Abgesehen von den durchaus vorhandenen leisen Orten dieser Welt, zieht es den modernen homo sapiens in die Urbanität der Großstädte - warum auch immer.
Dabei ist der ständige Lärm als eine Art Kollateralschaden anzusehen.
Ob er definitiv krank macht oder dafür noch weitere Komponenten hinzu kommen müssen, sei dahin gestellt.
Es ist nur auffällig, wie oft im Sprachgebrauch der Begriff 'still' auftaucht.
   Schon zu Urzeiten war es überlebenswichtig keinen der Sinne ungenutzt zu lassen. Wenn das Baby in der Höhle brüllt, kann schnell einmal das verräterische Knacken des im Unterholz schleichenden Säbelzahntigers überhört werden - Pech. Darum dem kleinen Schreihals mit der Brust den Schnabel verschließen - stillen eben, fertig. Hat sich bewährt.
Das gilt natürlich auch noch heute gelegentlich, z.B. beim Fernsehen zuhause während des sonntäglichen Tatortkrimis oder im Wartezimmer beim Frauenarzt. Das Wirkprinzip hat sich gehalten.
   Im weiteren Entwicklungsverlauf der jungen Brut gibt es den Wunsch nach relativer Ruhe mit der beginnenden Pubertät. Jede Generation Eltern hat Erfahrungen, mit wechselnden Musikrichtungen von Beat, Hop, Techno bis Rap, die Einhaltung der Schmerzgrenze von 120 Dezibel bei der Beschallung aus dem Kinderzimmer einzufordern. Auch die lästige, schulische Hausarbeit hat bitteschön unbeschallt zu erfolgen. Es scheinen nur die Älteren Probleme bei der Konzentration zu haben. Ich selbst kann nicht schreiben oder lesen, wenn irgendwo Sprache wahrnehmbar umherschwirrt. Wahrscheinlich mußte ich früher ohne Störgeräusche im 'stillen Kämmerlein‘ lernen und bin nicht abgehärtet, ich weiß nicht mehr. Heute kommt mir die Technik zu Hilfe. Ich muß nur meine Hörgeräte leiser oder aus-stellen, schon ist Ruhe.
Zugegeben eine Krux - das hilft nicht Jedem.
Geräuschattacken das ungeliebten Nachbarn von oben mit seinem ewigen Umhergelaufe führt zum Einsatz des Besens - zuerst gegen die Decke, dann gegen die Person höchstselbst. Kein Wunder, so dicht gedrängt wie heute lebte die Menschheit noch nie an ihren Zivilisationsstätten.
Höhlen lagen niemals reihenweise neben- oder übereinander.
   Die Sehnsucht nach 'heiliger Ruhe‘ treibt daher den Städter gelegentlich in Wald und Flur. Dort ist er dann erschrocken den eigenen Atem und das Knacken des Säbelzahntigers zu hören, oder waren das jetzt die Gelenke?
Ist die Akklimatisierung aber gelungen und sind die ersten Stunden überlebt, ist die Therapie heilsam, sie verleitet sogar dazu, hunderte Kilometer weiter zu gehen, bis Compostella.
Auch in der Heilkunde wird bei Krankheit auf Ruhe gesetzt. Der Körper soll sich mit allen seinen selbstheilenden Mitteln unabgelenkt der Genesung widmen. Hier ist wohl ein klarer Bezug auf die krankmachende Ursache Lärm erkennbar.
Es gilt Ruhe = Gesundung, dann gilt wohl auch Krach = Erkrankung!
Junge Menschen schützen sich mehr und mehr in der Öffentlichkeit vor dem Lärm der Stadt mit schalldichten Kopfhörern, abgeguckt aus der Arbeitswelt in der Schwerindustrie. Arbeitssicherheit wird heute hoch gehandelt. Leider sind es aber Hifi-Lautsprecher, Heatsets etc. zur Bedudelung mit der unangemessen lauten Beat-, Hop-, Techno- oder Rap-Musik aus dem Kinderzimmer. Da ist das Prinzip der heilsamen Stille noch nicht angekommen. Wenn zusätzlich warnende Signale aus dem Straßenverkehr nicht registriert werden können, kann die Straßenbahn schon mal für 'ewige Ruhe' sorgen.
   In der zwischenmenschlichen Konversation findet in gemäßigten Kreisen ein Streit schon mal den Abschluß mit: Sei endlich still!
In anderen Gesellschaftsschichten eher mit: Halt doch deine Fres....!
Das Ergebnis heiligt die Mittel. Schwerere Taten und Blessuren können mit dieser Aufforderung durchaus verhindert werden. Bis irgendwann später das totgebrüllte Problem wieder auf die Tagesordnung kommt.
   Hingegen die in der frühen Kindheit des 20.Jahrhundert antrainierte Schweigsamkeit bei Tisch ist vollends in Vergessenheit geraten. Ob nicht eine gepflegte Konversation während der Versammlung der Familie bei diesen Gelegenheiten die bessere Idee gewesen wäre, bitte fragen sie die damaligen Erziehungsstrategen. Jedenfalls ist bei mir persönlich die Liste der unerträglich lauten Speiselokale lang und länger geworden. Der zu erwartende Geräuschpegel wird zusammen mit der Speisenauswahl und dem internationalen Vergleichspreis für 'Schnitzel Wiener Art' immer wichtiger bei der Auswahl des Lokals. Geht man achtlos in ein Etablissement zur aushäusigen Speisenaufnahme kann man vor lauter Lärm kein Wort führen oder verstehen und kommt wieder zum Ursprung zurück - schweigen bei Tisch.
Etwas widersinnig, aber ungewollt automatisch bestellt man sich dann meist ein 'Stilles Wasser' - sehr komisch.
   Wo inmitten aller Hektik rätselhaft andächtige Stille, um nicht zu sagen, Totenstille herrscht, ist in Gotteshäusern. Der monumentale, visuelle Eindruck beim Betreten dieser alten Gemäuer fällt zusammen mit dem ausbleibenden Reiz an Hammer, Amboß und Steigbügel. Echt mystisch. Welche Wucht muß an gleicher Stelle das mittelalterliche Menschlein getroffen haben. Damals kam wohl noch der plötzlich ausbleibende Gestank der Gassen hinzu, der durch Weihrauch genial übertüncht worden ist.
Ebenfalls greifen erstaunlich viele Texte von Weihnachtsliedern das Thema auf: Stiiihiele Nacht, heilige …..; Stiihill, stiihill, weils Kindlein...
So wundert es nicht, daß das 'stille Gebet' und in 'stillem Gedenken', Begriffe aus diesen fernen Zeiten, bis dato erhalten geblieben sind.
Was es aber mit dem Spruch 'Stille Wasser gründen tief' auf sich hat oder warum mir diese Gedanken genau auf dem 'Stillen Örtchen' kamen, muß ich nochmal goggeln.