Meine Glossen - Modegreis

Modegreis

Neulich habe ich es wieder einmal getan.
Allerdings unter der Schirm­herrschaft meiner früheren Verlobten - denn es hat geregnet. Nein. Quatsch. Kalauer.
Sie hat mich in ein Ober­bekleidungs-Etablisse­ment geschleppt. Ich brauchte zwei Baum­wollhosen - Jeans also.
   Tatsächlich war mir jüngst ein Malheur passiert, für das der modische Hansel ansonsten viel Designer­geld bezahlt. Ich saß irgendwo am Tisch und wollte wie stets den strammen Sitz der Hose übers Knie entlasten und zupfte gewohnter­maßen am Hosen­oberbein - ratsch. Volltreffer. Oberhalb des rechten Knie riss die dünn gewordene Lieblings­hose quer auf ein Drittel Umfang auf. Sah aus wie gewollt und von Künstler­hand verwirk­licht. Trotzdem. Erstens nur einseitig, geht ja gar nicht. Zweitens, ich finde es bescheuert und jenseits der Dreißig einfach albern.
Obwohl ich immer wieder aufs Neue überrascht bin, was man den Leuten alles als Trend verkaufen kann. Zerrissene, Retour gekommene Jeans als Modegag. Darauf muß man erst einmal kommen.
Fazit also. Das kann man mit knapp vor Siebzig nicht mehr anziehen und auch das Kürzen und als Sommer-Hotpants tragen war nicht möglich, denn Hosen­boden war auch schon licht­durchlässig.
Es half also nichts, das nennt sich Verschleiß. Natürlich war die Qualität früher einmal besser.
Es stand ein Quanten­sprung in der Jeans­entwicklung zum Erwerb an.
   Nach Fest­legung von Beinlänge (besser Beinkürze) und Bauch­umfang, gelang es dem Fach­personal unter Ein­beziehung der Stretch-Technologie ein mögliche Paßgröße für mich zu ermitteln und ich stieg in die Transformer­box. Die Umkleide­kabine.  Als 68,75 jähriger hinein, als 65jähriger heraus. Ein Wunder. Die Quälerei innerhalb der Wandel­kabine lasse ich mal weg, jedenfalls umschlang mich das neue Beinkleid liebevoll und heftig dank seiner Dehn­fähigkeit. Der Schnitt war laut aktueller Hosen­norm röhren­förmig und fragte nicht nach dem Waden­durchmesser, unter anderem.
Die alte Frage­stellung, wie extrem junge Weiber in extrem enge Jeans­hosen kommen hat schon Gene­rationen von erstaunten Männern beschäftigt. Ein Trick soll ja sein, sie naß in der Bade­wanne anzuziehen, mit anschließender Blasen­entzündung gratis. Gut, wollte ich nicht, aber hier life hinter dem Well­vorhang, das war auch nicht einfach?
Wie gesagt nach einigem Kampf der besagte Ver­jüngungs­effekt. Eine graue, eine schwarze Ausführung hatte jeweils optimalen Sitz und sie kamen so in meinen Fundus.
Warum ich das eigentlich schildere.
   Soeben. Monate später, habe ich mich zuhause mal wieder aus einer von ihnen heraus­geschält und frage mich: Wie konnte ich mir das damals bloß andrehen lassen?
Seit dem geschil­derten Tag, als besagtes, altes Bekleidungs­teil oberhalb des Knies aufriss, muß ich mich jedes Mal aufregen beim An - und Ausziehen.
Die Neu­varianten klammern sich hemmungs­los an meine untrainierten Unter­schenkel und ich muß höchst biegsam, tief gebückt oder sitzend am unteren Röhren­ende zerren, um sie von der Waden­klemme zu lösen.
Immer wieder ein Schau­spiel im stillen Kämmer­lein. Trotz dieses immer währenden Ärger­nisses beschränkt sich An - und Ausziehen ja in der Regel auf zwei Vorgänge pro Nutzungs­tag.
Was mich aber darüber hinaus rasend macht!
Bei jedem einzelnen Auf­stehen aus sitzender Position, egal wo, also gefühlte hundert Mal am Tag, bleiben die Hosen­beine auf Halb­mast hängen.
So ein Schei...
Was für ein Schmacht­heini, Knochen­gerippe, Hunger­leider hat sich so etwas einfallen lassen oder dafür Maß gestanden. Ich muß wie gesagt stets einen Bückling machen, an der Hose ziehen und alle fragen sich: Wo will der jetzt wieder hin?
Nichts gegen Rumpf­beugen, man bewegt sich ja sowieso zu wenig.
Aber bitte.
Vielleicht sollte ich am Ende noch dankbar sein.