Der ideale Tag

Der ideale Tag

7.30Uhr.   Uaah! Falls ich jetzt aufstehe, muss es sich schon lohnen. Ein prüfender Blick aus der geleasten Residence:

Das Wasser scheint ruhig, ist ohne die wütenden Schaumkronen der letzten Tage, so soll es sein. Die frühmorgendliche Stimmung halbhell, halbstill, noch unentschlossen, vor dem aufziehenden Tage. Vom Horizont ist nur ein unscharfer Schimmer zu erkennen, er reicht bis hinauf zum Himmel in graublau bis leichtrosafarbenen Pastelltönen changierend.
Sieht nach einem kanarischen Vorzeigetag aus.

Erste weissunfomierte Hotelbedienstete gehen die Reihen der zur Parade aufgestellten Sonnenliegen ab. Noch fehlt die erste Besitznahme und Duftmarkierung per Badelaken, aber das kann nicht mehr lange dauern.
Ein esoterischer weiblicher Club auf bunten Gummimatten macht geräuschlose, schattenhafte Bewegungen zu unbekannten Kommandos, Yoga für den veganen Frühaufsteher (diese Vögel lassen selbst den besagten Wurm in Ruhe). Das Schurren der Balkonstühle und Klappen der Türen nimmt jetzt beständig zu, der Frühstücks-Run ist ausgebrochen.
Jetzt bloß nicht den Anschluss verpassen. Für die morgentliche Belegung der meeresnahen Frühstücksplätze im Bereich der ersten Sonnenstrahlen gilt es schnell und wachsam zu sein. Rasch hat es den zögerlichen Gast in die zweite oder dritte Reihe verschlagen - entgangene Urlaubsfreude, böses Thema für den kühlen Urlaubsrechner.

Das Ungeheuerliche ist aber ausgeblieben. Aus 1A-Lage sind die Raubzüge vom Buffet für uns ein Leichtes. Es kommen unwillkürlich Bilder aus der jüngsten Zeit vor das geistige Auge: Bedürftige und Flüchtlinge stehen demütig in langen Schlangen an Le­bens­mit­tel­aus­ga­be­stel­len.
Hier sind es mitteleuropäische Kälteemigranten. Gelangweilt mit den leeren Bechern oder Tellern spielend, warten sie. Auf das der Kaffeebrühautomat mechanisch die laut Tastenaufdruck avisierten Geschmacksrichtungen wundersam, alle aus einem einzigen Hahn, freigibt. Andere lauern beim geschickt operierenden Eierdomteur auf Beute. Gespiegelt oder als Omlett geht hier die Frucht harter kanarischer Hühnerarbeit im Akkord durch die Pfanne.

Nach und nach erlahmt aber dann der Trieb sich erneut einzureihen, sind doch die Mägen bereits mit orientalischen Früchten vorgefüllt gewesen und leider nicht für weitere Kalorienhortung geschaffen. Man stelle sich eben Wiederkäuer in dieser illustren Gesellschaft vor. Nein, besser nicht. Apropos. Die Versorgungslage ist also für 3-4 Stunden gesichert und man kann getrost die Verwertung nun dem Körper allein überlassen, Ruhe ist angesagt. Die Wahl geeigneter Verdauungsstätten ist wiederum eine Herausforderung. Sind doch stets die Yoga-Frauen, senile Bettflüchter oder allgemein Gewiefte schneller und die AAA+ bis AA- Plätze sind schon rätselhaft vorbelegt. Denn es warten professionell mit Klammern gesicherte Badelaken auf ihre fleischige Last. So gilt es sich mit einer B-Lage eine geruhsame Zeit bis zum Mittagstisch zu verschaffen - morgen werden wir schneller sein.

Mit etwas Glück ertönen die Megafone mit der Aufforderung zu Zumba, Beachvolleyball, Wassergymnastik und Bingo nur weit entfernt und man kann sich dem mittelschweren Rätsel oder Sudoko widmen.
Der Gammelfleischgrill hat nun nahe der Mittagssonne bald seine Höchstleistung erreicht. Eifrig werden vorwiegend Wohlstand ausstrahlende Körper gegen Verbrennungen geölt und gesalbt, Schatten gibt es ja zu Hause genug. So glaubt man unterbewusst entlang der Reihen glänzender Leiber einen leichten Duft verbrannten Fleisches zu empfinden. Vielleicht ist dies nur eingebildet, denn die poolnahe Grillbude rüstet sich bereits zur erneuten Nahrungsausgabe zu Mittag.

So ist noch etwas Zeit, um in der Lounge, nahe der Rezeption den Internet- Hotspot zu nutzen. Hier gilt es für Jung und Alt nicht den sozialen Anschluss in die Heimat während der Reise zu verlieren. Alle blicken in die spärlich beleuchteten Bildschirme ihrer Ipods und -Phons, als Fenster zur Welt, Paar für Paar, jeder für sich allein.
Nach dem mittäglichen Snack ist wirklich Ruhe angesagt. Jederman und jederfrau findet ein Ruheplätzchen, zur Not im frisch gemachten Bett im kühlen Hotelzimmer.

Schließlich ist der frühe Vorabend um 15.00h erreicht und die rechte Zeit für die erste Alkoholdosis. Bier, Wein, Drinks, Cocktails, wer ist bereit auf diese kostenlosen Gesellschaftsdrogen zu verzichten? Schließlich gilt es einige eintönig sonnige Stunden bis zum Diner zu überbrücken.
Rechtzeitig für den Abend werden bei sinkender Sonne die malträtierten Körper wieder entölt und in unpraktische Bekleidung gestopft. Auf hochstelzigem Schuhwerk wackeln für ihr Gewicht zu kleine Frauen zum gut gefüllten Abendbuffet, geben dort dem BMI den letzten Rest. Den meisten Herren ist dies bereits vor Zeiten gelungen. Sie tragen ihr Hopfengeschwür mit demonstrativer ,no sports'-Mine umher, stets im Schlepptau der stolzierenden Gattin. Verschiedentlich werden Körperbemalungen zur Ablenkung der Fehlbildungen feilgeboten, was bei Ausmaß und Motiv oft zu Unverständnis beim Betrachter führt.

Zum Tagesabschluss noch die abendliche Bühnenshow und / oder Karaoke in der Bar. Wir haben dies geschickt umgangen und landen auf der gemütlichen Freiterrasse zu ein bis drei Absackern. Die ‚Schlangen-Menschen‘ vom Frühstückbuffet findet man nun an der abendlichen Bar wieder, in gewohnter Aufstellung. Mit der Abenddroge an crashed-Eis mit Schirmchen kehren wir zurück zum gepolsterten Flechtsessel. Da beginnt ein Trupp Mitausländer aus einem anderen Ausland randalisch zu johlen und zu schreien - wo sind wir denn hier.
Urlaubsfreude herausbrüllen, das geht gar nicht. Beschwerde wird beim Rezeptionisten vorgetragen. Der Lärm bleibt, aber auch das gute Gefühl, sich hier ernsthaft um Ordnung bemüht zu haben.
Nur gut, das WIR alles in allem völlig anders sind.

Der fällt der Blick auf den Halbmond. Selbst er liegt auf dem Rücken in der Sonne, hier ist auch alles anders als zuhause.