Behütet

Das Kindsein in den 50ern aus heutiger Sicht: kitschig heil. Begünstigt bei mir durch die geografische Lage. Gemeint sind nordhessischen Täler.

Hier war man keineswegs von der Umwelt abgeschnitten, etwa durch Eis und Schnee oder wie in Extremlagen im Hochschwarzwald oder den Alpen. Nein, das nicht. Aber in der Nähe der Grenze, im Zonenrandgebiet, kurz vor der russisch besetzten Zone, da war wohl selbst dem Teufel angst und bange. Ich kann mich daher an kein Kapitalverbrechen erinnern. Kein Tankstellenüberfall, keine Vergewaltigung (und wenn, dann musste anschl. geheiratet werden), kein Terrorismus und außer den Wirten am Ort gab es keine Drogendealer. Mörder befanden sich weit weg: Pommerenke, das 'Ungeheuer vom Schwarzwald' und der 'Totmacher' in Braunschweig.

Vielleicht lag das auch etwas an den Medien, die noch nicht global auf Horrorsuche waren oder kindlichem Desinteresse. Die Hessische Allgemeine berichtete höchstens mal über den feindlichen Angriff auf den Maibaum und über eine Klopperei auf der Herbstkirmes mit den Hardcore-Typen der Nachbargemeinde. Normales Platzhirschgehabe eben, weiter nichts. Übers Jahr, quasi im Alltagsmodus, gab es sonntagmorgens genug Gelegenheit sogar uniformiert für klare Verhältnisse zu sorgen - beim Fußballspiel der 1. Mannschaft.

Die Angstgegner waren bekannt und sie mussten ihren Nimbus immer aufs Neue bestätigen, das heißt, es ging hart zur Sache. Ich selbst war damals Ohren-und Augenzeuge, wie einem unserer Stürmer das Wadenbein gebrochen wurde. Es hat gekracht wie trocken-Holz. Die Stollenhelden waren durchaus mutig und draufgängerisch, aber eben auch keine Profis und am Vorabend irgendwo in der Dorfkneipe versackt. Da fehlte beim Spiel manchmal die nötige Präzession und dies musste mit Einsatz wettgemacht werden. So humpelte anschließend mancher Akteur zum Sonntags-Schoppen, nicht zu verwechseln mit dem heutigen Sonntags-Shoppen.

In dieser idyllischen Periode, im sicheren Hafen der Gemeinden im Wehretal wuchs ich also heran. Während der Sputnik den Westen schockte, in Bern ein Fußballwunder geschah, Petticoat und Rock 'n Roll die Menschen erfreute, die römischen Verträge entstanden, der Korea- und Indochinakonflikt herrschte, der 'International Frühschoppen' dies alles am Sonntag dem Volk erklärte - in dieser Zeit war ich in kurzer Lederhose und Kniestrümpfen von all dem unbeeindruckt. Nur unterwegs im Gelände, in Wald und Flur. Manchmal aber auch brav auf unserem etwas schräg verlaufenden Hof vor dem Haus.

Damals noch ungepflastert, konnten man dort mit einem alten Löffel oder einer Blechbüchse im Lehmboden graben. Kleine Landschaften für ebenso kleine Wickinger-Autos erschaffen oder auch Kuhlen anlegen zum Illern, wie damals das Murmelspiel bei uns hieß.